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Wolfgang Sofsky
Karl Kraus: Über die Eitelkeit

Ein US-Schriftsteller, von Feuilletonisten vielfach gefeiert und zu einem bedeutenden Denker der Gegenwart gekürt, nimmt die Übersetzung von zwei wichtigen Essays von Karl Kraus, dem über Heine und jenem über Nestroy, zum Anlaß, dem neugierigen Leser seine Studienjahre in Deutschland nahe zu bringen, eine Art Teilmemoiren in der Deckung der Anmerkungen und Fußnoten, die, wie der Romanschriftsteller bereitwillig einräumt, allerlei Peinlichkeiten über den jungen Studenten verraten, die hier aus Gründen der Diskretion nicht weiter erwähnt werden sollen. Leider hat es der Autor versäumt, Krausens Glosse über die Bespiegelung seiner selbst ebenfalls zu übersetzen, welche der Geltungssucht von Schriftstellern zwar nichts von ihrer Belanglosigkeit nimmt, ihr aber gelegentlich einen gewissen Witz verleiht, sofern man die Reflexion über die Eitelkeit auch – entgegen Krausens Selbsteinschätzung – als Satire über sich selbst und den lumpigen Zustand falscher Bescheidenheit zu lesen versteht.

„Daß ich den Vorwurf der Selbstbespiegelung als die Feststellung eines mir bekannten Wesenszuges hinnehme und nicht mit Zerknirschung, sondern mit einer Fortsetzung des Ärgernisses erwidere, daran sollten sich meine Leser endlich gewöhnt haben. Natürlich tue ichs nicht ihnen zum Trotz, und nicht einmal mir zuliebe. Indem ich über mich spreche, will ich keinen kränken und keinem gefällig sein, sondern nur als Vertreter des österreichischen Geisteslebens der Gefahr vorbeugen, daß es einmal heißen könnte, hierzulande habe niemand über mich gesprochen. Die Wiener Geistigkeit sollte mir dankbar sein, daß ich ihr eine Mühe abnehme und einen Ruf bewahre. Daß aber auch die Freude über ein anerkennendes Wort seiner Wiederholung zugrunde liegt, warum soll ichs leugnen? Wer das Lob der Menge gern entbehrt, wird sich die Gelegenheit, sein eigener Anhänger zu sein, nicht versagen. Phantasie hat ein Recht, im Schatten des Baumes zu schwelgen, aus dem sie einen Wald macht, und es gibt keinen lächerlicheren Vorwurf als den der Eitelkeit, wenn sie sich ihrer selbst bewußt ist. Ich bin so frei, alles Glück der Koterien mir selbst zu bereiten. Der böswilligste Tropf wird nicht glauben, daß ich Wert darauf lege, ein Liebling der Wiener Kritik zu sein, und daß ich mich beklage, weil ichs nicht bin…

Die Enthüllung der Eitelkeit hat noch nie ein Schriftsteller seinem Leser leichter gemacht als ich. Denn wenn er es schon selbst nicht merkte, daß ich eitel bin, so erfuhr er es doch aus den wiederholten Geständnissen meiner Eitelkeit und aus der rückhaltlosen Anerkennung, die ich diesem Laster zuteil werden ließ. Die lächelnde Informiertheit, die eine Achillesferse entdeckt, wird also an einer Bewußtheit zuschanden, die sie schon vorher freiwillig entblößt hat. Aber ich kapituliere. Wenn der fruchtloseste Einwand auch zum zehnten Jahr meiner Unbelehrbarkeit erhoben wird, dann hilft keine Replik. Ich kann pergamentenen Herzen nicht das Gefühl für die Notwehr, in der ich lebe, einflößen, für das Sonderrecht einer neuen publizistischen Form und für die Übereinstimmung dieses scheinbaren Eigeninteresses mit den allgemeinen Zielen meines Wirkens. Sie können es nicht verstehen, daß, wer mit einer Sache verschmolzen ist, immer zur Sache spricht, und am meisten, wenn er von sich spricht. Sie können es nicht verstehen, daß, was sie Eitelkeit nennen, jene nie beruhigte Bescheidenheit ist, die sich am eigenen Maße mißt und das Maß an sich, jener demütige Wille zur Steigerung, der sich dem unerbittlichsten Urteil unterwirft, welches stets sein eigenes ist. Eitel ist die Zufriedenheit, die nie zum Werk zurückkehrt. Eitel ist die Frau, die nie in den Spiegel schaut. Bespiegelung ist der Schönheit unerläßlich und dem Geist. Die Welt aber hat nur eine psychologische Norm für zwei Geschlechter und verwechselt die Eitelkeit eines Kopfes, die sich im künstlerischen Schaffen erregt und befriedigt, mit der geckischen Sorgfalt, die an einer Frisur arbeitet. Die Welt will, daß man ihr verantwortlich sei, nicht sich. Der Welt ist es wichtiger, daß einer sein Werk nicht für groß halte, als daß es groß sei. Sie will die Bescheidenheit des Autors; die der Leistung würde sie übersehen.

Und zur endgültigen Abfertigung des täglich unbescheideneren Schwachsinns, der mir die Befassung mit mir, meiner Stellung, meinen Büchern, meinen Feinden verübelt und mahnend oder höhnend nachweist, daß sie »die Hälfte meiner literarischen Tätigkeit« ausfülle, während sie doch in Wahrheit meine ganze literarische Tätigkeit ausfüllt; und weil man sich vor diesem Pöbel, dem man als Lebender nie zur Autorität wird, nur durch Berufung auf Autoritäten Ruhe verschaffen kann; zur Abführung aller anonymen Ratgeber, und um die Bildung jener weltweisen Nobodys, die gern in Büchern nachschlagen, zu vervollständigen, sei das Wort Schopenhauers mir willkommen: »Daß einer ein großer Geist sein könne, ohne etwas davon zu merken, ist eine Absurdität, welche nur die trostlose Unfähigkeit sich einreden kann, damit sie das Gefühl der eigenen Nichtigkeit auch für Bescheidenheit halten könne… Die bescheidenen Zelebritäten habe ich stets im Verdacht, daß sie wohl Recht haben könnten… Goethe hat es unumwunden gesagt: ›Nur die Lumpe sind bescheiden.‹ Aber noch unfehlbarer wäre die Behauptung gewesen, daß die, welche so eifrig von andern Bescheidenheit fordern, auf Bescheidenheit dringen, unablässig rufen: ›Nur bescheiden! um Gottes willen, nur bescheiden!‹ zuverlässig Lumpe sind, das heißt: völlig verdienstlose Wichte, Fabrikware der Natur, ordentliche Mitglieder des Packs der Menschheit.«
(K.Kraus, Selbstbespiegelung in: Fackel Nr. 267/269 vom 17.12.1908)

© W.Sofsky 2014