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Wolfgang Sofsky
Bernhard von Clairvaux: Vertreibung der Phantasie
Bernhard, Vordenker des Zisterzienserordens, 1174 heilig gesprochen, alljährlich zum 20.8. verehrt, damals Feind der Dialektik, der frühen Scholastik und der Häresie, Initiator des zweiten Kreuzzugs, glutvoller Verehrer von Maria und Jesus, Gegner des Auges, der Sinne, Verschwendung und Pracht, ein Ritter im weißen Ornat mit barocker Rhetorik, der nur dem Wort, nicht seiner Auslegung glaubte, vertrieb auf seinem Weg in die Innerlichkeit auch die Phantasie. Er kämpfte gegen Cluny und gegen Paris und gegen seinen eigenen Körper, was ihm einen chronisch kranken Magen einbrachte, so daß man neben seinem Sitz im Chor eine Mulde für das Erbrochene aushob. Herb und schlicht, von puritanischer Sinnenfeindschaft, war die Ästhetik, die er wortreich predigte. Seinem Freund Wilhelm von Saint-Thierry, einem Schüler des heiligen Anselm, der 1135 von den cluniazensischen Benediktinern zu den Zisterziensern überwechselte schrieb er:
„Was suchen in euren Kreuzgängen, in denen die Mönche die heilige Lektüre pflegen, jene grotesken Fabelwesen, jene außergewöhnlichen, unförmigen Schönheiten und jene schönen Unförmigkeiten? Was bedeuten hier die schmutzigen Affen, die reißenden Löwen, die wunderlichen Zentauren, die nur halbe Menschen sind? Warum diese gefleckten Tiger? Warum kämpferische Krieger? Warum Jäger, die ins Horn blasen? Hier sieht man plötzlich mehrere Leiber mit einem einzigen Kopf, dann wieder mehrere Köpfe auf einem einzigen Leib. Hier zieht ein Vierfüßer einen Reptilienschwanz hinter sich her, und dort hat ein Fisch den Leib eines Vierfüßers. Hier reitet ein Tier zu Pferd. Ja, die Vielfalt der Formen ist so groß und so wunderlich, daß man den Marmor entziffert statt in den Handschriften zu lesen, daß man den Tag damit zubringt, diese Sonderbarkeiten zu betrachten, statt über das Gesetz Gottes nachzudenken. Herr, wenn man über diese Absurditäten nicht errötet, so möge einem wenigstens leid tun, was sie gekostet haben.“
Eine unnötige Ausgabe sind die Kapitelle und Skulpturen, an denen mehr zu sehen ist als der blanke Stein. Sie lenken den Geist ab und die Seele, die aus dem Buchstaben der Schrift ihre Nahrung ziehen sollen. Unnütz und schädlich sind all die Träumereien, Abschweifungen vom Blick nach Innen. Zerstreut werden muß daher das Monstrum der Phantasie, ausgeholzt werden muß die Imagination, beschnitten, vernichtet. Gerodet werden müssen die Voluten und Ranken, das Dekor und der Prunk, das Gewimmel der Teufel und Dämonen des Unbewußten. Eine Mauer ist zu errichten mit wohlgeformtem Stein, in dem die Gemeinschaft der Mönche des Gottes inne werden kann.
© WS 2019