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Wolfgang Sofsky
Ilinx 3: Frans Hals – Malle Babbe
Bei dem abendlichen Rundgang im Schloß Weisenfels gelangen der Graf und sein letzter Gast, der Ich-Erzähler, auch in das Kabinett des Lächelns. Dort entspinnt sich vor dem Bild von Frans Hals „Malle Babbe“ folgende Konversation:
… Hierher komme ich manchmal, wenn es mich allzu niederdrückt. Die Leute heitern mich auf, für einen Moment zumindest, sie machen keine plumpen Scherze und reden kein dummes Zeug, sie lächeln. Man muß nicht zuhören und nicht nachdenken, wenn man sie sieht.
Aber man kann überlegen, versetzte ich, was es mit der Eule auf sich hat, die der grinsenden Alten auf der Schulter hockt, ein Geheimzeichen?
Das ist das einzige Gesicht, das nicht lächelt; es lacht hemmungslos. Vielleicht lacht die Alte jemanden aus, Schadenfreude ist schließlich die schönste Freude, oder sie lacht über den Witz eines Zechkumpans, oder sie versteht gar nichts mehr. Sternhagelvoll ist sie, besoffen wie eine Eule. Er prostete mir zu. Whisky dürfte ihr Zinnkrug kaum enthalten, eher Bier, aber wer weiß: böse ist die Eule, unrein, weise; ihr Licht erhellt die Finsternis, ihre Klugheit durchdringt die Nacht, auch die Umnachtung des Geistes.Aber in ihrem Zustand kommt es auf nichts mehr an. Wie viele Krüge hat sie schon geleert, um derart häßlich zu lachen?
Man muß nicht volltrunken sein, erwiderte ich, um schäbig zu lachen. Viele brauchen keinen Tropfen Alkohol für lautstarke Fröhlichkeit. Von ihren dröhnenden Stimmen wissen sie oft gar nichts. Sie lachen arglos und robust, so wie es gut für die Gesundheit ist; nicht im mindesten sind sie illuminiert. Wie auch immer der Pegelstand der Alten sein mag, die Malweise scheint ihren Geisteszustand nachahmen zu wollen, rasche Striche, alla prima, aber nicht gemalt in freier Kneipennatur, sondern im Atelier, auch das Studio bietet flüchtige Impressionen. Man muß zurücktreten, um sich nicht zwischen den Tupfen und Farbflecken zu verlieren.
Nein, nein! Das Bild ist zweihundertfünfzig Jahre älter als die Eindrucksmalerei, und die Alte gab es tatsächlich. Sie hielt sich in demselben Arbeitshaus auf wie später der Sohn des Malers.
Ich wußte, daß es eine heimliche Verbindung gibt, eine entfernte Familienähnlichkeit!
Womit Du ihm Unrecht tust, was kann der Vater dafür, wenn sein Filius dem Schwachsinn oder der Trunksucht verfällt. Sieh mich an! Liegt es an dem Alten, daß mich die Leute hier für wahnsinnig hielten, weil ich nicht tat, was die Tradition vorschrieb? Aber beachte die Lichtreflexe auf dem Becher und dem aufgeklappten Deckel, den struppigen Halskragen, die Schürze, das Wechsellicht an der Nasenwurzel, am linken Auge, wenige flchtige Striche, subtil und zugleich kraftvoll, großartig!
Warum hast Du das Bild aufgehängt?
Sympathie war es nicht gerade, nicht umsonst nannte man sie die Gifthexe von Haarlem. Sie ist eine der häßlichen Vetteln und Irren, die, wie Du selbst am besten weißt, schon in der Antike auftauchten; später drehten dann ein paar Frauen den Spieß einfach um und ziehen die Männer der Häßlichkeit und Verdorbenheit. Aber mich reizt das Lachen, der Gegensatz zum Lächeln aller anderen, die sich hier umtun.
Neben der alten Trinkerin wandte sich gerade ein junger Mann zu uns herüber…“
(W.Sofsky, Weisenfels, Berlin 2014)