Wolfgang Sofsky
Giotto: Petrus – der Ohrabschneider
Während Judas auf dem Ölberg seinen Anführer küßt, um den Häschern die Identität Jesu zu verraten, schneidet Petrus einem Diener des Hohepriesters Kaiphas, Malchus mit Namen, in einem Akt übereifrigen Widerstands, hinterrücks das rechte Ohr ab. Jesus soll dieses Mißgeschick laut Lukas (22,50-51) durch ein Wunder wieder aus der Welt geschafft haben, indem er den Verletzten berührte, so daß ihm die Ohrmuschel entweder wieder anwuchs oder sie von unsichtbarer Hand angenäht wurde. Simon Petrus, der Glaubensfels, der wenig später seinen Anführer dreimal verleugnen sollte, bewies im Garten noch energische Gegenwehr. Warum er es jedoch dabei bewenden ließ, einem der Schergen nur ein Ohr abzuschneiden, erklärt sich wohl aus der Überraschung und den Turbulenzen bei der nächtlichen Inhaftierung. Es ist jedoch bemerkenswert, daß ein Teil des friedliebenden Christentums das höchste irdische, also vorhimmlische Amt in der Nachfolge eines Ohrabschneiders eingerichtet hat. Giotto hat die Szene auf einem Fresko in der Arenakapelle zu Padua festgehalten, Petrus im Nimbus des Heiligen, Malchus ohne eine Regung des Schmerzes, ganz auf die Beobachtung des Judaskusses konzentriert.
© WS 2018