Wolfgang Sofsky
E.M.Cioran: Lob des Hasses
Haß, Wut, Zorn zeigen des Menschen wahres Gesicht. Sie beleben sein Dasein. Im Haß fühlt er sich lebendig, selbst wenn er ihn vereist. In betulichen Zeiten wird allerorten gegen den Haß gewettert, mit haßerfüllter Phraseologie. Wann gewinnt der Demokrat sein wahres Gesicht: wenn er sich voller Haß gegen den Haß seiner Feinde in Stellung bringt. Wann gewinnt der Antidemokrat sein wahres Gesicht: wenn er sich voller Haß gegen die Demokraten aufrichtet. Anonymer Haß, wie er in den virtuellen Welten sich verbreitet, ist keiner. Das Gesicht bleibt verdeckt, es sind nur hohle Phrasen. Ein Narr, der solch namenloses Gerede beim Wort nimmt.
Der Mensch ist nur im Haß persönlich. In ihm kommen die Gesichtszüge ans Licht, und die umschatteten Umrisse gewinnen erdrückendes Relief. Ohne aggressives Zittern hat jede Physiognomie und Haltung einen idiotischen Charakter. Der schwachsinnige Ausdruck aller guten Menschen ist bezeichnend. Es gibt wesentlich gemeinere Akte der Sanftmut als irgendeine beliebige bestialische Gebärde. Es ist, als ob der Mensch nur durch Haß zur Person wird. Die Vernichtung des Hasses ist Bankrott der Individuation.
Es gibt keine Tat ohne Haß. Die Liebe rechtfertigt die Taten, aber ist nicht deren Beweggrund. Jedesmal wenn sich der Haß in mir verringert, habe ich den Eindruck, für diese Welt heillos verloren zu sein. Nur im Haß fühle ich mich als Kreatur, nur im Haß gehöre ich zur Viehherde Gottes. Und nur wenn er mich jenseits aller Grenzen überstürmt, sehe ich die Schöpfung im Schöpfer. Jene, die den großen Haß nicht lieben, müßten alle Hoffnung aufgeben.
Es gibt kein Bildnis ohne Haß: Gute Menschen haben kein Gesicht. Der große Haß ist jeden Augenblick unser Selbstbildnis. Die Liebe scheint mir zuzeiten ein Anschlag auf das uralte Gebäude des Hasses; die Liebe untergräbt systematisch die Grundlagen der Geschichte. Wenn die Erlösung keine Herauslösung aus der Welt wäre, dann würde ihr Pfad durch den Haß verlaufen. Die Liebe ist wesentlich pessimistisch. Den Optimisten bleibt gar nichts mehr übrig, als den Haß zu umkreisen. (Cioran, Das Buch der Täuschungen).
© WS 2019