Wolfgang Sofsky
Torheit Hoffnung
Hoffnung findet ihren Fluchtort in der Zukunft. Doch will sie nichts erwarten, vorhersehen oder planen, sondern sich Sehnsüchten, Utopien, Wundern hingeben. Hoffnung träumt von einem hohen Gut, das zwar nie zu erlangen, vom Hoffenden gleichwohl für erreichbar gehalten wird: Heilung von unheilbarer Krankheit, Erlösung von Schuld oder Begleichung aller Schulden, ewiges Glück, Unsterblichkeit, das Paradies auf Erden oder im Himmel. Wenn die Zukunft nur weitere Übel in Aussicht stellt, springt die Hoffnung ein. Der Gewinn mag unwahrscheinlich sein, die Hoffnung glaubt fest daran. Der Wunsch mag unerfüllbar, das Ziel in weiter Ferne sein, Hoffnung läßt sich davon nicht beirren. Aus Schaden wird Hoffnung niemals klug. Den Mangel an Information ersetzt sie durch Starrsinn. Auch wenn alle Saiten längst zerrissen sind und nur eine letzte noch erklingen kann, hält sie die nutzlose Lyra fest in Händen. Gründe benötigt die Hoffnung ohnehin nicht. Sie greift um sich, wenn alle Gründe erledigt sind. Niemals fragt Hoffnung nach Beweisen, Argumenten, Belegen. Ihr Reich ist jenseits der Erfahrung, der Vernunft.
Wie der Glaube ist die Hoffnung eine Verfassung des Geistes. Sie bringt den Verstand dazu, auch dem beizustimmen, was er nicht sieht. Das Künftige ist in der Antizipation bereits anwesend, und diese Idee des Kommenden nährt die Illusion. Hoffnung vermittelt schon jetzt etwas von der künftigen Wirklichkeit. Sie ersetzt den fehlenden Beweis für das, was noch nicht zu sehen ist. Weil sie dem Wunsch trügerische Substanz verleiht, kann der Hoffende auf Überprüfung verzichten. In der Welt seiner Vorstellung ist er gegen Enttäuschungen immun.
Hoffnung setzt daher auch nicht auf das Handeln. Sie macht aus der Not des Unerreichbaren eine Tugend. Das Erhoffte liegt in der Regel außerhalb der eigenen Reichweite. Wäre es durch eigene Anstrengung zu erlangen, so benötigte der Mensch keine Hoffnung, sondern nur Findigkeit, Kraft und Ausdauer. Der Hoffende jedoch hält sich an die Devise, daß sich Glück und Heil schon finden werden. Die Mittel kümmern ihn nicht. Ob er etwas tut oder nicht, ist zweitrangig. Allenfalls muß man rechtzeitig das Los abgeben. Wo Hoffnung grassiert, ist die Trägheit nicht weit. Hoffen und Harren machen gar manchen zum Narren.
Hoffnung trübt den Blick auf die Sachlage und hemmt das Handeln. Mitnichten ist das Prinzip Hoffnung ein Motor der Geschichte. Der Elan der Religionen und Ideologien speist sich nicht aus Hoffnungen, sondern aus Ressentiment, Machtgier und Hochmut……
(aus: Wolfgang Sofsky, Laster. Gesichter der Unmoral, London 2018, S. 91f., erhältlich bei amazon)
© WS 2018