Wolfgang Sofsky
Mendelssohn-Bartholdy op.80,2
Als „Requiem für Fanny“ hat man Felix Mendelssohn-Bartholdys letzte Streichquartett op.80 in f-moll bezeichnet. Seine Schwester Fanny Hensel war im Mai 1847 in Berlin einem Schlaganfall erlegen. Ihr letztes Werk, das Lied „Bergeslust“ nach Versen von Eichendorff bildete ihren Nachruf. Ihr Bruder erhielt die traurige Nachricht in Frankfurt. Da er die Reise nach Berlin nicht ertrug, fuhr er zunächst nach Baden Baden, schließlich nach Interlaken, wo er eifrig Aquarelle malte, seine letzten geistlichen Werke schrieb, den ersten Akt der Oper „Lorelei“ zu Papier brachte und das Streichquartett vollendete, das jedoch erst 1850 veröffentlicht wurde.
Mendelssohn verachtete alle Bemühungen, musikalische Texte aus historischen oder biographischen Umständen zu deuten oder den Ausdruckswert der Noten in gefühlige Worte zu übersetzen. Mit programmatischen Kommentaren hatte er nichts im Sinn und die Verwechslung von ästhetischem Ausdruck und persönlicher Seelenverfassung war seine Sache nicht. Musik ist ohnehin keine Darstellung von Gemütslagen, keine Beschreibung von Freude oder Trauer, aber auch kein Ausdruck der Trauer ihres Urhebers. Dennoch kommt dem musikalischen Text eine ästhetische Wirkung zu, die an eine untröstliche Klage denken läßt.
Mehr noch: Wenn es ein Musikstück geben sollte, das eine Stimmung der Verzweiflung zum Ausdruck bringt, dann ist es das Scherzo dieses Quartetts, der rasche zweite Satz mit seinen melodischen Punktierungen, den drängenden Synkopen in den Mittelstimmen, den leeren Quinten, übermäßigen Quarten und schneidenden Dissonanzen. Auch dem fahlen Trio fehlt alle Lieblichkeit, stetig pocht die Baßlinie, und der chromatische Übergang von Viola und Cello zum Scherzo klingt fast wie ein Wehgeheul. Zu symphonisch kam manchen Zeitgenossen dieses Werk vor. Es widerspricht diametral dem populären Bild, das man sich über diesen Komponisten zurecht gelegt hatte, dem Bild des formstrengen Romantikers mit Vorlieben für Bachsche Messen, wortlosen Lieder und elfige Beschaulichkeit.
Es spielt das Modigliani-Quartett 2010 bei der Schubertiade in Hohenems. Fast ein wenig zu langsam nehmen die Künstler das Allegro vivace, aber den schneidend bitteren Ton und die synkopische Zerrissenheit treffen sie genau: http://www.youtube.com/watch?v=4mcvWVkz2Tk.
© W.Sofsky 2015