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Wolfgang Sofsky
A.B.Michelangeli spielt Brahms
Im Jahre 1981 spielte Arturo Benedetti Michelangeli in Lugano die vier Balladen op.10 von Johannes Brahms. ABM, der Konzerte wegen einer Kleinigkeit auch einmal kurzfristig absagen konnte, war im Musikbetrieb eine Ausnahmeerscheinung. Er war skrupulös, mißtrauisch gegenüber den eigenen Fähigkeiten und unbedingt im Anspruch, vollendete musikalische Schönheit zu schaffen. Seine Auftritte waren rar und legendär. Manchmal ereigneten sich „Sternstunden“ der musikalischen Inspiration und Interpretation. Er selbst scheint kaum daran geglaubt zu haben, daß seine Konzerte die teuren Eintrittskarten wert gewesen seien. Nach einem Konzert soll er in verdrießlicher Stimmung einmal bemerkt haben: „Du erlebst soviel Applaus, soviel Öffentlichkeit. Nach einer halben Stunde fühlst Du Dich einsamer als zuvor.“ Einige Kritiker glaubten, ABM, der auch Maurizio Pollini und Martha Argerich unterrichtete, der kalten Perfektion zeihen zu müssen. Solches pflegen Kritiker manchmal zu sagen, wenn ein Pianist nicht nur über eine perfekte Technik und beispiellose Geschmackskultur verfügt, sondern sich auch über Jahrzehnte ein paar Gedanken über Struktur und Klangfarben eines Stücks macht. Daß das Gegenteil von artistischer Kälte der Fall war, kann jeder hier an den Balladen und dem Intermezzo des frühen Brahms mithören. Sie entstanden im Sommer 1854 während des Besuchs bei Clara und Robert Schumann in Düsseldorf und waren auch das letzte Werk, das Schumann – bereits in der Anstalt – noch besprochen hat.
https://www.youtube.com/watch?v=eDvWFcJJjgo
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