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Wolfgang Sofsky
Panzer in Barcelona: Ein Szenario der Repression
Daß Staaten Zwangsanstalten sind, ist eine Banalität. Daß das Recht, inklusive der Verfassung, ein Instrument staatlicher Herrschaft ist, ist gleichfalls eine Banalität. Nur Rechtsgläubige verwechseln den Rechtsstaat mit einer Institution politischer Freiheit. Aus der Tatsache, daß etwas mehr oder weniger geregelt zugeht, folgt weder, daß es gerecht zugeht, noch daß es freier zugeht. Recht reduziert die Willkür des Fürsten, aber es ersetzt die Herrschaft der Willkür durch die Herrschaft der Staatsanstalt. So ist es völlig rechtmäßig, wenn der spanische Zentralstaat die katalanische Regionalregierung entmachtet, ihre Mitglieder inhaftiert, die Wortführer der Unabhängigkeit wegen Hochverrats anklagt, die lokale Polizei durch die nationale Polizei und Militärpolizei ersetzt, gepanzerte Fahrzeuge der Polizei und des Militärs auffahren läßt, alle verdächtigen Clubs und Parteien verbietet, alle unliebsamen Personen einsperrt, die im Verdacht der Unterstützung des Hochverrats (Sezession aus dem Machtbereich des Zentralstaates ist nichts anderes) stehen, die einschlägigen Publikationsorgane verbietet, einen kommisarischen Gouverneur einsetzt, der die Direktiven des Zentralstaats exekutiert, etc. etc. Die Repression ist legal, die Ausrufung des Staatsnotstandes ebenfalls, das Verhängen nächtlicher Ausgangssperren und befristeter Versammlungsverbote nicht minder. Alles rechtsstaatlich, legal, „demokratisch“. Und Brüssel, Berlin, Paris verkünden weiterhin unisono die „westlichen Werte“, indes die Repression tatsächlich einen politischen Zustand erzeugt, da nach dem Weltrecht ein Volk das Recht auf staatliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmung erwirbt. Aber all das ist nur ein Szenario, und ein Szenario ist bekanntlich nur eine Möglichkeit, nicht die Wirklichkeit.
© WS 2017