Wolfgang Sofsky
In der Englischen Welt: v.Eyck – Chorgesang
Gelegentlich legen die Engel ihre Flügel ab, hüllen sich in kostbaren Brokat und stellen sich um das drehbare Notenpult. Obwohl sie seit Jahrtausenden die Noten des Gloria auswendig kennen, kann jeder noch einmal einen raschen Blick auf den Text werfen, falls ihn das Gedächtnis im Stich läßt. Immer schon haben sie zu Allerheiligen diesen Lobpreis anzustimmen. Wie immer singen die tiefen Stimmen kräftig aus Brust und Kehle, indes die Sopranisten – wie immer – vergessen haben, beim Aufstieg in die Höhen die Stirn nicht in Falten zu legen und die Töne nicht aus dem Kopf zu pressen. So steht manchem Engel, wie hier in v.Eycks Genter Altar, ins Gesicht geschrieben, wie mühselig der alljährliche Lobpreis geblieben ist. Auch heilige Pflichten sind Pflichten, so fruchtbar der Glauben sein mag, fruchtbar wie die Granatäpfel, die auf den golden durchwirkten Festgewändern zu sehen sind. Unter Cherubim geht es im Chore – naturgemäß – nicht anders zu wie unter Menschen, welche den Gesangsritus für immer zu wiederholen haben.
© WS 2018