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Wolfgang Sofsky
Kassandra
Kassandra, Tochter der Hekabe und des Troerkönigs Priamos, Schwester von Paris, Hektor, Polyxena und vielen anderen, warnte, wie man weiß, die Trojaner vor dem hölzernen Pferd, in dem sich bewaffnete Männer versteckt hielten. „Ihr Narren“, trauet niemals einem Griechen, selbst wenn er Gaben bringt“, rief sie ihren Landsleuten zu. Doch die Anhänger des Priamos bestanden darauf, das hölzerne Pferd in der Stadt zu lassen, zu Ehren Athenes und aus Furcht vor dem Zorn der Göttin. Das Ende ist bekannt. Warum aber hörten die Troer nicht auf Kassandra? Es heißt, daß Kassandra in früherer Zeit einmal im Tempel Apollons eingeschlafen war . Da erschien der blonde Gott und versprach ihr, die Kunst der Prognose und Prophezeiung zu lehren, wenn sie mit ihm schliefe. Kassandra soll das Angebot zuerst angenommen, aber sofort bereut und zurückgenommen haben. Der Gott, in solchen Fällen sonst wenig respektvoll, bat sie zumindest um einen Kuß. Als sie diesen gewährte, spuckte er ihr in den Mund. Damit verlor sie zwar weder ihr Wissen und Klarsicht noch ihre Kunst der Voraussage, aber sie büßte ihre Glaubwürdigkeit ein. Von nun an wollte niemand mehr auf sie hören, obwohl sie alles im voraus wußte.
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