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Wolfgang Sofsky
Der Friedhof der Eliten

Seit Vilfredo Paretos „Trattato di Sociologia Generale“ weiß man, sofern man es wissen will, daß Demokratie eine Herrschaft von Eliten ist, die nach geordnetem Verfahren zirkulieren. Keine Elite ist von Dauer, jede verschwindet nach einer gewissen Zeit. Die „herrschende Klasse“ wird immer wieder von Emporkömmlingen aus den unteren Klassen abgelöst. Die Geschichte ist, wie Pareto sagt, ein „Friedhof der Eliten“. Infolge der stetigen Zirkulation befinden sich Eliten in andauernder, manchmal rascher, manchmal langsamer Transformation. Sie gleitet „wie ein Strom dahin, der heute anders ist, als er gestern war. Ab und an beobachtet man plötzliche und heftige Störungen, wie wenn ein Strom über die Ufer tritt, und danach beginnt die neue herrschende Klasse sich ihrerseits zu wandeln: der Strom, in sein Bett zurückgekehrt, fließt von neuem gleichmäßig dahin.“ Revolutionen ereignen sich nur, wenn Eliten zu lange an der Macht festhalten und sich nicht erneuern.

Im politischen Zyklus gelangt zunächst die Gruppe der „Löwen“ wegen ihrer Ideale an die Macht. Doch weil sie sich bei der Sicherung der Macht immer mehr von ihren ursprünglichen Idealen entfernt, gewinnt die zweite Gruppe, die der „Füchse“, an Einfluß, bis sie selbst die Macht übernimmt. Hat eine herrschende Klasse sich lange Zeit mit legalem Zwang an der Macht behauptet, kann sie noch eine Zeit lang fortbestehen, indem sie ihren Gegnern den Frieden abkauft, durch Posten und Pensionen. Verweigert sie diese Kooptation und grenzt sie ihre Rivalen weiterhin aus, wird die konkurrierende Gruppe radikaler.

Es liegt in der Natur herrschender Eliten, daß sie ihre Rivalen ebenso verunglimpft wie jene die herrschenden Gruppen. Üble Nachrede gehört zum normalen Prozeß des politischen Kampfes. Ebenso auffällig ist, daß herrschende Eliten Angriffe auf ihre Positionen mit Angriffen auf das politische System insgesamt verwechseln. So sieht man sogleich „die Demokratie“ unterhöhlt, wenn man eine Niederlage erlitten hat. Umgekehrt bezichtigt die Konkurrenzgruppe die herrschende Elite des Verrats am Volkswillen und verspricht mehr direkte Beteiligung. Natürlich sind beide Manöver der Propaganda purer Schwindel. Weder ist die Demokratie, dieses System der Elitenzirkulation, durch Wahlen, in Gefahr, noch haben die herrschenden Eliten „das Volk verraten“. Verraten kann man nur, wenn man zuvor im Interesse eines Dritten agiert hat. Keine Elite, weder die Löwen noch die Füchse, handelt jedoch zugunsten der Wähler. Sie verfolgen lediglich das eigene Interesse an der politischen Macht. Und nur Narren glauben, „Demokratien“ seien Systeme, in denen das Volk, bzw. die Bevölkerung selbst herrschen würde.

© WS 2020