Kielmansegg: Wider die Gesinnungsgemeinschaft
Peter Graf Kielmansegg, der Mannheimer Emeritus für Politikwissenschaft, hat heute in der FAZ einen kleinen Artikel „Gesinnungsgemeinschaft statt offener Gesellschaft. Zur beunruhigend starken Zeitströmung der Illiberalität“ veröffentlicht. Er zeichnet deutlich den plumpen Mechanismus der Diskreditierung nach und erwägt mögliche Ursachen im System der Wissenschaften. Der zweite Punkt bedarf indes noch weiterer Klärung. Warum sind die weichen Fächer in der Universitäten die Quelle der Illiberalität? Hier der Text von Kielmansegg:
„Zu den ersten Aufgaben, die die UNESCO nach ihrer Gründung in. den Nachkriegsjahren in Angriff nahm, gehörte auch diese: Sie organisierte eine weltweite Befragung von Fachleuten zum Begriff der Demokratie. Ihre Hoffnung war es, einen intellektuellen Konsens darüber, was Demokratie sei, zutage fördern zu können. Und, kühner, mit der Präsentation eines intellektuellen Konsenses einem politischen Konsens den Weg zu ebnen. Franklin D. Roosevelts visionäre Erwartung, die Nachkriegswelt werde sich im Einvernehmen zwischen West und Ost aufbauen lassen, wirkte in dieser Hoffnung fort.
Die Ergebnisse des Projektes legte der kanadische Politikwissenschaftler Richard McKeon 1951 im Auftrag der UNESCO in dem Band „Democracy in a World of Tensions“ vor. Dort kann man nachlesen, dass der Versuch gescheitert ist. Es gab keine Übereinstimmung darüber, was Demokratie sei. Liberales und sozialistisches Demokratieverständnis standen gegeneinander, von den Bemühungen, auch noch Stalins Autokratie als Demokratie auszugeben, ganz zu schweigen.
Wiederholte man die Befragung heute, mehr als siebzig Jahre später, so würden wohl andere, neue Dissense zutage treten, aber es würde sich wiederum zeigen: Demokratie ist kein Konsensbegriff. Die Frage bleibt freilich, ob sich nicht wenigstens einige wenige Existentialia benennen lassen, die jeder im Sinn hat, der nicht nur zum Schein von Demokratie spricht. Und ob nicht die Freiheit des Denkens und Redens in weiten Grenzen zu diesen Essentialia gehört; genauer: ob nicht die Freiheit des Denkens und Redens eine Bedingung der Möglichkeit des demokratischen Politikprozesses ist; das, was Popper die offene Gesellschaft genannt hat, und Demokratie also zwei Seiten einer Medaille sind.
Eine abstrakte Verständigung darüber, dass es so sei, ist vermutlich, ziemlich einfach. Tatsächlich aber verlaufen genau hier Fronten, an denen heftig gekämpft wird. Das hat zum einen mit der Kommunikationsrevolution der vergangenen Jahrzehnte zu tun. Das Internet hat auf der einen Seite neue Strukturen der Macht geschaffen, die nicht demokratiefreundlich sind. Und es hat auf der anderen Seite Räume einer häßlichen Anarchie geöffnet, die nicht demokratiefreundlich ist. Aber das ist nur die eine Front. Die andere: Die intellektuelle Welt zeigt sich seit einiger Zeit immer anfälliger für die Versuchung der Idee, der demokratiegemäße Modus der Vergesellschaftung sei nicht die offene, regelgebundene Gesellschaft, sondern die Gesinnungsgemeinschaft. Ausgegeben wird die Gesinnungsgemeinschaft, um unangreifbar zu sein, als Gesinnungsgemeinschaft der Demokraten.
Tatsächlich aber sind es Zumutungen ganz anderer Art, die zum Test für eine korrekte demokratische Gesinnung erklärt werden. Gute, demokratische Gesinnung, um vier zentrale Testfelder zu nennen, zeigt sich in der Überzeugung, daß der Mensch sein Geschlecht frei wählen könne und es mehr als zwei Geschlechter gebe; daß der Imperialismus der Europäer fortwirkend für alle Übel der Welt verantwortlich sei; daß die Grenzen für alle, die in Europa oder Nordamerika Zuflucht suchen, offen zu halten seien; daß die Sprache einer grundlegenden Reinigung unterzogen werden müsse, um die Vorherrschaft des Mannes zu brechen.
Der Argumentationsweg ist immer der gleiche: Wer anders denkt, als es diese Vorgaben verlangen, diskriminiert. Man schreibt ihm eine Phobie, genau genommen also eine krankhafte Furcht, zu. Wer an Transphobie, Xenophobie, Islamophobie und so fort krankt, ist politisch krank, ein Extremist, natürlich rechter Provenienz. Extremisten rechter Provenienz aber sind Demokratiefeinde. So werden im Namen der Demokratie Tabuzonen geschaffen, in denen nur noch das Bekenntnis zur herrschenden Gemeinschaftsgesinnung als Bekenntnis zur Demokratie gilt. Die Paradoxie der fortschreitenden Einschränkung der Freiheit des Denkens und Redens im Namen der Demokratie wird Wirklichkeit – bis hin zur Perversion, jüngst durch eine Universitätspräsidentin ad oculos demonstriert, daß das Eintreten für die Meinungsfreiheit auch derer, die den Maximen des Zeitgeistes wiedersprechen, als Bedrohung der Demokratie gebrandmarkt wird.
Eine besondere und zugleich zentrale Frage liegt nahe: Warum sind gerade die Universitäten, zumal der angelsächsischen Welt, aber auch hierzulande, Orte, an denen die Neigung, die eigenen Anschauungen zu allen möglichen Fragen als allein mit der Demokratie kompatibel zu erklären, so blüht? Müßten nicht gerade die Universitäten sich als Räume der Freiheit des Denkens und Redens , als Räume der Offenheit verstehen und den beunruhigend starken Zeitströmungen der Illiberalität entgegentreten?
Es gibt keine Antwort auf diese Frage, die sich aufdrängt. Aber man kann Vermutungen wagen. Zum Ethos wissenschaftlicher Wahrheitssuche gehört eigentlich die Bereitschaft, sich selbst zu korrigieren, wenn neue, bessere Erkenntnis es nahelegt. Es wäre aber nicht sonderlich überraschend, wenn sich mit der Überzeugung , professionell im Dienst der Wahrheitssuche zu stehen, auch der Habitus, stets recht zu haben, verbände. Und in den wissenschaftlichen Disziplinen, in denen das Wissen und das Meinen ohnehin nicht immer scharf zu unterscheiden sind, die Neigung da und dort stark wäre, das eigene Meinen als wissenschaftliche Wahrheit zu präsentieren. Hochschulen, zumal ihrem Selbstverständnis nach die angelsächsischen, sind aber auch Anstalten der Erziehung. Das mag hypertrophe Vorstellungen von einer besonderen Verantwortlichkeit für die gesellschaftliche und politische Moral fördern. Daß andererseits Zivilcourage in der akademischen Weit nicht besonders gut gedeiht, wissen wir ohnehin.
Wie immer man sich aber auch das merkwürdige Phänomen erklären mag – daß gerade Universitäten sich zunehmend als Zensurinstanzen gebärden, daß es im Namen der Demokratie geschieht, ist das eigentlich Beunruhigende an der Entwicklung. Der Versuch, die offene Gesellschaft in eine Gemeinschaft der Gleichgesinnten, will sagen, eine Gemeinschaft derer, die so denken wie man selbst, umzuformen, beschädigt auf die Dauer die Demokratie in ihrem Kern.“
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