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Barockzeitalter: Konfessionalisierung, Disziplinierung, Repression

Eine Kulturgeschichte des Barock ist undenkbar ohne eine Vorstellung von den religiösen Machtkämpfen, Vertreibungen, Verfolgungen und der staatlichen Homogenisierung der Bevölkerung. Die konfessionelle „Säuberung“ ging einher mit der ideologisch-religiösen Abrichtung durch konfessionelle „Bildungs“einrichtungen, die Vernichtung von Außenseitern und die Installation formierter Frömmigkeit in den neuen Kirchen. Wim Blockmans schildert in seiner famosen Kontinentalgeschichte der europäischen Macht von 1998 in aller Kürze die Verstaatlichung der Religion und die Konfessionalisierung des Staates in einem Zeitraum, in den auch der frühe Barock fällt:

„Die erzwungenen Migrationsbewegungen Hunderttausender Juden, Moslems und Protestanten stärkten zwischen 1492 und 1700 die religiöse Homogenität der europäischen Staaten, wodurch diese auch deutlicher voneinander unterschiedene territoriale Identitäten annahmen. England, die Vereinigten Niederlande und Schweden waren die protestantischen Großmächte: Spanien, Österreich und schließlich auch Frankreich die katholischen. Kirchen wurden fortan Staatskirchen. In Polen wurde die orthodoxe Kirche gar unter Beibehaltung der Lehre und Riten der päpstlichen Macht unterstellt. In den überwiegend orthodoxen Gebieten unterschied man neben der griechischen und bulgarischen eine serbisch- und eine russisch-orthodoxe Kirche. Letztere unterstand seit 1589 einem eigenen Patriarchen in Moskau, der den politischen Belangen des Zaren diente.

Jeder religiös homogenisierte Staat baute ein System zur Beeinflussung seiner Untertanen auf, das auf die Bildung einer geschlossenen konfessionellen Identität abzielte, in der die Regierungsgewalt Staat und Kirche gleichermaßen umfaßte. Dieses System machte den Ausschluß heterogener Einflüsse notwendig, und solches erforderte Zensur und politische Kontrolle. Deren Wichtigkeit hatte beträchtlich zugenommen, weil ab dem 16. Jahrhundert neue Ideen viel rascher zu verbreiten waren als in den Jahrhunderten zuvor: Gedruckte Propagandatexte, Pamphlete und mehr oder weniger symbolische Abbildungen ermöglichten dies. Bibelübersetzungen und theologische Schriften wurden von den Reformern rasch in Druckform verbreitet. Daneben hatte der Humanismus das Interesse am Bildungswesen und den an die Ergebnisse desselben beträchtlich erhöht, wodurch an erster Stelle die Protestanten und später auch die Katholiken versuchten, ihr Gedankengut über ein festgefügtes Schulsystem den Menschen von kindauf einzuprägen. Die Kontrolle über diese neuen, mächtigen Mittel der Einflußnahme erforderte somit alle Aufmerksamkeit der fürsorglichen Obrigkeit. Die katholische Kirche versuchte mit einem Index verbotener Bücher (erste Ausgabe 1559) ihre treue Gefolgschaft vor unorthodoxen Einflüssen zu bewahren und organisierte öffentliche Verbrennengen als ketzerisch erachteter Bücher. Der Verlust religiöser Mündigkeit im konfessionellen Einheitssystem ging mit dem Abbau politischer Rechte einher.

Die politische und kulturelle Elite trachtete mit vereinten Kräften sowie allen Mitteln, notfalls auch durch Zwang und Abschreckung, den Untertanen ein neues Normsystem zu vermitteln. Prediger, Universitätsprofessoren, Lehrer an den neuen Lateinschulen, Richter, Zensoren und Verleger wurden die Wegbereiter eines neuen politischen und sozialen Konsenses, der sich als regelrechte Kulturoffensive über die Untertanen ergoß. Auf katholischer Seite wurden die Gerneindepfarrer nach den Vorschriften des Konzils von Trient (1545-1563) besser ausgebildet und von ihren Bischöfen schärfer kontrolliert, die päpstliche Macht wurde verstärkt, und als Vorhut der schwer disziplinierten gelehrten Geistlichkeit nahm der1534 gegründete Jesuitenorden das Bildungswesen in die Hand. Katholiken und Protestanten nutzten gleichermaßen die Sorge für die Armen, Kranken und Bedürftigen, um diese Abhängigen strikt in die Lehre einzubinden. Die Disziplinierung der Gläubigen als Untertanen und als Mitglieder einer Kirchengemeinschaft war das offensichtliche Bestreben aller religiös Gesinnten. Die Reformierten jedoch traten in den kleineren Territorien, wo sie an der Macht beteiligt waren, noch strenger auf als die Katholiken.

Die Verflechtung von Kirche und Staat innerhalb der Grenzen des Staates ermöglichte eine viel stärkere Einflußnahme als je zuvor, und das kam beiden Parteien sehr gelegen. Die Kirche sah sich durch den starken Arm des Staates in der Verbannung unorthodoxer Personen, Schriften und Abbildungen unterstützt und bekam allen Raum, ihr Weltbild in den Pfarreien und Kirchspielen, in Schule und Sozialfürsorge durchzusetzen. Diese immer zahlreicher werdenden Institutionen zur sozialen Kontrolle, geleitet von den Kirchen und bezahlt von den Gläubigen selbst oder durch Einkünfte aus säkularisierten oder nicht. säkularisierten kirchlichen Patrimonien – kostete den Staat nichts.

Der Höhepunkt der konfessionellen Kulturoffensive läßt sich zwischen 1570 und 1650 ausmachen. Sie half dem Staat bei der weiteren Hierarchisierung der Gesellschaft im Sinne autoritärer Bevormundung, ausgehend vom Gott zum König und weitergegeben über dessen kulturelle Agenten (Richter, Predigen Priester. Lehrer usw.) bis hin zum Familienvater. Jede dieser Ebenen paßte funktional in ein Schema des Gehorsams: Frau und Kinder dem Familienvater gegenüber, sie alle gegenüber ihren geistlichen Leitern, diese wiederum gegenüber dem König, der der damaligen Auffassung zufolge seine Macht direkt von Gottes Gnaden bezog. Die eng mit dem Staat liierte Kirche erhielt eine einzigartige Gelegenheit, allen Untertanen die entsprechende Gottesfurcht und die Angst vor dem Bösen einzutrichtern, der Staat fand zur Disziplinierung der Untertanen die erträumte Schar unbezahlter Mitarbeiter. Der Staat begab sich mit seinem gesetzgeberischen und richterlichen Auftreten weit auf kirchliches Terrain, indem er Ordonnanzen in Sachen Ketzerei, Zauberei. Fluchen, Sittlichkeit und sogar häßlichen und unehrenhaften Sprachgebrauchs erließ etwa Karl V. im Jahr 1554.

Besonders hart gingen die katholische Kirche und die ihr wohlgesonnenen Staaten gegen sogenannte Ketzer, (Protestanten) und, besonders zwischen 1570 und 1630 gegen vermeintliche Hexen vor. Für beide Kategorien wurden Zehntausende von Scheiterhaufen entzündet., weil angeblich nur das Feuer imstande war, ihre Sünden gänzlich zu tilgen. Das Herausgreifen von Sündenböcken erwies sich als effektive Disziplinierungsmaßnahme, manchmal initiiert von örtlichen Machthabern, immer aber ermutigt durch Kirche und Staatsregierung, auch in protestantischen Ländern. Kriminalisiert wurden hauptsächlich alleinstehende Landfrauen, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten ihr Einkommen verloren und an den Rand der Gesellschaft abgedrängt wurden. Im allgemeinen Klima religiöser Hetze war es leicht, sie heidnischer, als teuflisch interpretierter Praktiken zu verdächtigen. Auch Hebammen liefen Gefahr, derartig stigmatisiert zu werden. Seit dem Erscheinen des Hexenhammers zweier deutscher Inquisitoren im Jahr 1487 (Malleus Malelicarum), die sich auf eine päpstliche Bulle des Jahres 1484 beriefen, galten Hexenprozesse als kanonisch rechtmäßig. Gesellschaften konnten unter dem Druck der politisch-religiösen Repression ihre Ängste auf schutzlose Frauen projizieren, die in das von der Inquisition geschaffene Muster paßten. Sie trugen damit zur Stärkung der Disziplin bei, die die Machthaber erzwingen wollten. Diese sahen die Gelegenheit gekommen, durch die Hexenverfolgung ihre normative Macht selbst bis in die abgelegensten ländlichen Gegenden spürbar zu machen. Es ist bemerkenswert, daß nicht allein die stark von der katholischen Gegenreformation geprägten Staaten eine intensive Hexenverfolgung kannten, etwa Bayern, die südlichen Niederlande und Lothringen. Allein in Lothringen wurden zwischen 1580 und 1630 dreitausend Hexenprozesse geführt, die in 90 Prozent der Fälle auf eine Verurteilung hinausliefen. Aber auch in bestimmten protestantischen Gebieten wie Schottland und Schweden verstärkte die Hexenverfolgung die penetrative Kraft der Kirchen. Auffallend ist die geringe Verbreitung in Spanien, das bereits seine maurischen Sündenböcke verfolgt hatte, sowie in den Vereinigten Niederlanden, wo durch die religiöse Toleranz, das wirtschaftliche Wachstum und das Fehlen einer absolutistischen Zentralmacht wenig Impulse zu derartigem Terror existierten.

Diese gesamte Disziplinierungsaktivität verbannte natürlich nicht jeglichen Aber- und Unglauben, produzierte aber verglichen mit den recht imbeherrschbaren Massen früherer Jahrhunderte gehorsamere, folgsamere, ehrerbietigere und damit brauchbarere Untertanen. Dank dieser Kulturoffensive konnten die Kosten für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung beträchtlich gesenkt. Werden, was eine bemerkenswerte und vielleicht auch notwendige Leistung der immer größer werdenden Staatsverbände war. Leider setzten die Staaten auch weiterhin die derart eingesparte Energie für externe Machtbestrebungen ein.  Im 18. Jahrhundert nahm der staatliche Terror an Grausamkeit ab. Die zurückliegenden Kampagnen hatten disziplinierende Wirkungen gezeitigt.“