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Wolfgang Sofsky

Feindschaft

Im aktuellen Terrorkrieg in und um Gaza wird einmal mehr zur allgemeinen Deeskalation geraten. Wie immer lautet die Empfehlung: Abkühlen, Provokationen ausweichen, Nachgeben, Reden! Was immer die Gegenseite tut, Reden ist die Devise, Kommunikation, Dialog, Versöhnung. Auch wenn die andere Seite das Messer zückt – reden; wenn sie zusticht: abducken – und reden! Wenn einer leblos mit abgetrenntem Kopf am Boden liegt: Reden! Der Kult des Gesprächs ist die Religion der Diplomatie. Sie kennt als ärgste Sanktion nur den Abbruch des Dialogs.

In Krieg und Politik geht es stets um Macht. Auch in Verhandlungen geht es um Macht, aber nicht jeder Machtkampf vollzieht sich mittels Verhandlungen. Zwischen Worten und Kugeln gibt es ein weites Feld ökonomischer, sozialer und politischer Trümpfe. Sie sind freilich nur wirksam, solange der Aggressor keinen Schießbefehl erteilt, keine Raketen abfeuert, keine Menschen mit Macheten abschlachtet. Konflikte kennen als Resultat nicht nur den Kompromiß, sondern auch Sieg oder Niederlage. Gelegentlich besteht nicht nur Gegnerschaft, sondern Feindschaft. Unter Feinden sind Gespräche häufig gegenstandslos. Antagonistische Konflikte werden bis zum bitteren Ende ausgefochten. Vermittlung ist hier aussichtslos und deplaciert. Als Dritter kann man sich entweder in die Rolle des besorgten Zuschauers zurückziehen, neutral bleiben und alles für berechtigt, bzw. unberechtigt erklären oder aber Partei ergreifen.

Ohnehin setzt eine Politik der Deeskalation eine Position der Stärke voraus. Nur wer wirksam drohen kann und bereit ist, seine Drohung wahr zu machen, nur wer verlockende Angebote zu unterbreiten vermag, auf die der andere nicht verzichten kann, der hat Trümpfe in der Hand, die auch eine Beschwichtigung glaubhaft machen. Ein entschlossenes Bündnis mit einheitlicher Strategie kann die Einsätze wechseln, solange die Einheit der Koalition außer Frage steht. Wer nichts als moralische Appelle und leere Drohungen hat, der benutzt die Beschwichtigung, um a) die eigene Feigheit zu kaschieren, b) die eigene Ohnmacht zu verbergen, c) das Streitfeld stillschweigend zu verlassen, d) sein harmonistisches Weltbild in Ordnung zu halten oder e) sich ein gutes Gewissen zu verschaffen.

Das unpolitische Weltbild hat keinen Begriff von Feindschaft. Feinde sind keine verhinderten Freunde. Feinde haben es auf unsere Ideen, unser Eigentum, unsere Freiheit, unser Leben, unsere Existenz abgesehen. Manchmal verbergen sie sich unter den Fremden oder maskieren sich als gute Freunde. Feinde sinnen auf Angriff. Wegen ihrer Hinterlist sind sie oft nicht zu erkennen, so daß wohlmeinende Zeitgenossen dem Irrtum erliegen, es gebe sie gar nicht. Doch plötzlich tauchen sie auf der Straße auf und blasen zum Angriff. Sie sind als das zu behandeln, was sie sind, als Feinde. Sie als potentielle Freunde zu behandeln, ist pure Torheit. Sie gehören nicht in das gesellschaftliche Großprojekt der Integration, welches alle Fremden zu Freunden zu machen vorgibt.

Nicht alle Feindbilder entsprechen den Tatsachen. Aber aus der Tatsache, daß manche Feindbilder falsch sind, folgt keineswegs, daß es keine Feinde gebe. Die deutsche Ideologie der Freundschaft speist sich aus der Erfahrung vergangener Schuld und Niederlage. Aber sie taugt nicht für die Zukunft. Wer vielen Feinden unterlegen war, bleibt deshalb nicht von neuen Feinden verschont.

Der Versöhnungskult pflegt die Realität des Terrorkriegs gar nicht wahrzunehmen. Er verlangt von den Attackierten, im aktuellen Falle der israelischen Gesellschaft, sie solle ihren Todfeinden die Hand reichen, obwohl jene nichts anderes beabsichtigen, als sie zu vernichten. Damit nimmt die wohlmeinende Diplomatie Partei für den Aggressor. Sie gesteht der angegriffenen Seite nicht zu, den Todfeind selbst unschädlich zu machen. Daher das dauernde Gerede vom „Selbstverteidigungsrecht“ Israels. Damit wird der Machtkonflikt in die Sphäre des Rechts verschoben. Aber Terrorkrieg ist kein Gegenstand eines Völker- oder Kriegsrechts. Hier geht es einzig um die Selbsterhaltung durch die Vernichtung des Todfeindes.

Wer aber reihum nur Freunde zu erkennen wünscht, hat sich die wirksamsten Mittel der Politik, Abschreckung und Belohnung, selbst aus der Hand geschlagen. Er hält Politik für einen Austausch von Worten, nicht für einen Machtkampf der Körper und Köpfe. Solche Arglosigkeit erfreut jeden Feind. Denn dem Feind geht es nicht um Worte und Verträge, ihm geht es um Macht,  Herrschaft, Tod: Wer bestimmt die gesellschaftliche Ordnung, das Recht, die Politik? Wer entscheidet über das Geld und den Glauben, über Meinung und Kultur, über Land und Leute? Feinde stellen den Freund bekanntlich vor die Frage, wer er selbst sein will, wie er sich selbst versteht, was er zu tun wagt. Freunde jedoch, die ihre Feinde und die Feinde ihrer Freunde nicht zu erkennen vermögen, können unmöglich sagen, wer sie selbst sind und wer ihre wahren Freunde sind.