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Wolfgang Sofsky
Josef König: erhebend/erhaben
Dem Philosophen Josef König, 1893 im mittelpfälzischen Kaiserslautern geboren, Schüler von Georg Misch, in beiden Weltkriegen Soldat, von 1946 bis 1953 Ordinarius in Hamburg, danach bis 1961 Nachfolger Nicolai Hartmanns in Göttingen, stets auf dem Weg zur vollständigen Aufklärung der fraglichen Sachlagen zwischen Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, unerbittlich auch in der Suche nach dem letztlich klaren Satz, was gelegentlich zu Ungetümen führt, die Thomas Bernhard sich hätte zum Vorbild nehmen können, wenn er nicht schon andere Vorbilder gehabt hätte, nun, Josef König verdanken wir, wie noch nicht gesagt, eine grundlegende Studie über die „Natur der ästhetischen Wirkung“, im Jänner 1954 als Göttinger Antrittsvorlesung gehalten und 1957 in der Festschrift für den alten Briefgefährten und Göttinger Kollegen Helmuth Plessner („Wesen und Wirklichkeit des Menschen“, Göttingen 1957) abgedruckt, in welcher nicht nur getreulich die ästhetische Wirkung eines Kunstwerks von dessen nicht-ästhetischer Wirkung unterschieden wird, eine wahrhaft fundamentale Unterscheidung, die unzählige Feuilleton-, Bachelor- oder Katalogsätze über Kunst überflüssig macht, welche vorgeben, etwas über ein Kunstwerk zu sagen, aber doch nur etwas über den Rezipienten sagen, als ob die Heiterkeit des Betrachters einen Hinweis geben würde über die vermeintliche Heiterkeit des Bildes, das der Betrachter betrachtet, wohingegen ein traurig wirkendes Bild beim Betrachter mitnichten ein Gefühl der Trauer auszulösen pflegt, ja, gänzlich unabhängig von einem Betrachter traurig wirkt, da nämlich die ästhetische Wirkung eines Bildes, eines Verses, eines Gedankens, einer Fuge eine Eigenschaft des Kunstwerks ist und nicht eine Wirkung auf den Seelenzustand irgendeines Rezipienten, zumal die allermeisten Kunstwerke, sofern sie den Namen verdienen, überhaupt keine Botschaft aussenden, welche der Empfänger zu dechiffrieren hätte, schließlich ist Kunst kein Nachrichten- oder Kommunikationsmedium, nun, in diesem Zusammenhang der Unterscheidung von ästhetischer und nichtästhetischer Wirkung unterschied Josef König auch zwischen „erhaben wirkenden“ und „erhebend wirkenden“ Sachverhalten.
„Die erhebend wirkende Nachricht ist eine Nachricht, die diesen oder jenen Empfänger erhebt; und daß sie ihn erhebt, heißt und ist nichts anderes, als: sie bewirkt, daß er sich in einem gewissen Zustand befindet, von dem als einem Zustand des Erhoben-Seins zu sprechen sinnvoll und verständlich ist. Der Empfang der Nachricht ist die Ursache dessen, daß der Empfänger sich in einem anderen Zustand als zuvor befindet…
Daß dieser Zustand erstens eben ein Zustand und also überhaupt etwas ist und daß er zweitens ins Auge gefaßt und beschrieben werden kann, fasse ich dahin zusammen, daß er etwas für sich ist. Und wenn man ihn nun auffaßt als Wirkung einer Ursache, kann man daraufhin auch sagen, eine Wirkung dieser Art sei etwas für sich. Aber eben deshalb ist eine solche Wirkung eine nicht-ästhetische Wirkung.
Ganz und gar anders steht es, wenn man z. B. sagt, ein Anblick wirke erhaben oder wenn man von einer erhaben wirkenden Gesinnung oder auch — wie sinnvoll möglich sein dürfte — von einem erhaben wirkenden Gedanken spricht. Gerade der Unterschied von erhebend Wirken und erhaben Wirken kann besonders leicht den Unterschied, um den es hier geht, gegenwärtig halten. Daß etwas erhaben wirkt, heißt weder, daß es erhebt, noch daß es erhaben wäre in dem Sinne, in dem in Metall getriebene Arbeiten erhabene heißen. Das erhaben Wirken ist kein Bewirken. Von einer erhebenden Nachricht kann im Prinzip sinnvoll nur derjenige sprechen, den die fragliche Nachricht angeblich oder in der Tat erhoben hat; insofern ist eine erhebende Nachricht eo ipso eine jemanden erhebende Nachricht; und wenn man, wie vorkommt, schlechthin — d. h. diesen jemand weglassend — von einer erhebenden spricht, so wird dabei stillschweigend unterstellt, daß es mit dem Adressaten solcher Rede so steht wie mit dem Redenden selbst. Hingegen ein erhabener Anblick ist ein erhabener oder er isr dies schlechthin; d. h., in der Rede von ihm als einem erhabenen ist für den oder die, die ihn erhaben finden, kein Platz. Aber wenn man jemanden, der ihn erhaben findet, fragt, woher er denn wisse, daß er erhaben ist, wird die gemäße Antwort lauten können, daß er erhaben wirkt.
Es ist möglich, sowohl von einem erhebend wirkenden als auch von einem erhaben wirkenden Kunstwerk zu sprechen. Aber die Einführung der Rede von einem Kunstwerk hebt den aufgezeigten Unterschied nicht auf, sondern bestätigt ihn. Ein erhebend wirkendes Kunstwerk ist sinngemäß ein Werk, das den, der von ihm so redet, in einem Zustand der Erhobenheit versetzt hat. Solches Versetzen ist ein Bewirken; und die dadurch hervorgebrachte Wirkung ist keine ästhetische Wirkung. Wer hingegen sagt, dieses oder jenes Werk der Kunst wirke erhaben, nennt die von ihm her strömende ästhetische Wirkung bei ihrem Namen, der, wenn der also sie Beschreibende treffend beschreibt, „erhaben“ lautet…
Daß ein Anblick oder ein Gedanke, aber auch z.B. ein Kunstwerk erhaben wirkt, ist und meint, daß es der Anblick, der Gedanke oder das Werk ist, das so wirkt. Hingegen ist die Rede von einer erhebenden oder erhebend wirkenden Nachricht und nicht minder die von einem erhebenden oder erhebend wirkenden Kunstwerk der Möglichkeit nach überhaupt nicht sinnvoll, weil sie sinnvoll nur ist, wenn man darunter eine Nachricht oder ein Werk versteht, die tatsächlich und angebbar den oder jenen erhoben haben oder auch – nach der wahren oder falschen Meinung des Redenden – den oder jenen erheben werden. Und wenn nun diese Rede überhaupt sinnvoll ist, meint sie, richtig verstanden, nicht, daß es die Nachricht oder das Werk wäre, das erhebend wirkt, sondern meint, die Tatsache, daß dieser oder jener diese oder jene Nachricht empfangen oder dieses oder jenes Werk betrachtend aufgenommen hat, sei die Ursache der Tatsache, daß der Betreffende sich in einem anderen Zustand befindet als zuvor. Und diese letzte Tatsache kann in jedem Einzelfall sehr verschiedene Gründe haben, deren sich der Betreffende selber vielleicht nicht einmal bewußt ist. Die Unterschiede wollen präsent sein, wenn man die Natur einer ästhetischen Wirkung bedenken und begreifen will.“
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