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Wolfgang Sofsky

Animismus

Das animistische Weltbild zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, daß die Seele, das Bewußtsein, der Geist oder wie immer man das Innenleben der Lebewesen nennen mag, in diversen Formen, Gestalten, Körpern wohnen kann. Die Fähigkeit zur Verwandlung, zum Wechsel der Körper, ist eine zentrale Potenz der Lebewesen, wobei sich Menschen in Tiere oder Pflanzen, Tiere in Menschen oder Pflanzen oder Pflanzen in Tiere oder Menschen verwandeln können. In diesem Weltbild, das dem wissenschaftlichen „Westen“ gar nicht so unvertraut ist, gelten folgende Beziehungen zwischen Menschen und Nichtmenschen. Menschen sehen normalerweise die Menschen als Menschen an (auch wenn sie sie für Barbaren oder Unmenschen halten), Tiere betrachten sie als Tiere und Geister (sofern sie derer ansichtig werden) als  Geister; Raubtiere und Geister sehen die Menschen als Beutetiere an, während die Wildtiere die Menschen als Geister oder Raubtiere betrachten. Schoß- und Haustiere wiederum sehen die Menschen als Menschen an, und die Menschen sehen sie gleichfalls als Menschen an. Ohnehin sehen Tiere und Geister sich selbst als Menschen an, sie nehmen sich als Menschen wahr, wenn sie in ihren eigenen Behausungen, Höhlen oder Dörfern leben und ihre eigenen Sprachen, Bräuche und Sitten pflegen.

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